Die häufigsten Verhaltensstörungen bei Kindern – Aufklärung und Hilfe

Symptome, Ursachen, Diagnose und Behandlung der häufigsten Verhaltensstörungen bei Kindern.
Die häufigsten Verhaltensstörungen bei Kindern - Aufklärung und Hilfe

Ein impulsives oder trotziges Verhalten zeigen alle kleinen Kinder gelegentlich und meist ist  dies Teil einer normalen emotionalen Reaktion. Sind diese Verhaltensweisen jedoch extrem oder liegen sie ausserhalb der Norm für den Stand der kindlichen Entwicklung, könnte dies ein Anzeichen für eine Verhaltensstörung sein.

Die häufigsten Verhaltensstörungen bei Kindern sind:

  • Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  • Oppositionelle Verhaltensstörung (ODD)
  • Verhaltensstörung

Was ist eine Verhaltensstörung?

Verhaltensstörungen werden als störende Verhaltensweisen bei Kindern beschrieben, die mindestens sechs Monate andauern und Probleme zu Hause, in sozialen Situationen und in der Schule verursachen.

Herausfordernde Verhaltensweisen sind keine Verhaltensstörung

Kinder können manchmal herausfordernde Verhaltensweisen zeigen, die sich als Wutanfälle oder aggressives, wütendes oder trotziges Verhalten äussern. Dies sind meist das Ergebnis starker Emotionen, die das Kind auf die einzige Weise ausdrückt, die es kennt. Diese Verhaltensweisen können zwar eine Herausforderung darstellen, sie sind aber ein normaler Teil der kindlichen Entwicklung.

Eine Verhaltensstörung wird erst dann diagnostiziert, wenn die störenden Verhaltensweisen schwerwiegend und anhaltend sind und ausserhalb der Norm für die Entwicklungsstufe des Kindes liegen.

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)

Verhaltensstörungen unterscheiden sich auch von Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Dies sind neurologische Entwicklungsstörungen, die die Art und Weise beeinträchtigen, wie ein Kind kommuniziert, soziale Kontakte pflegt und sensorische Reize verarbeitet.

ASS kann bei einem Kind Verhaltensweisen hervorrufen, welche ungewöhnlich oder herausfordernd erscheinen. Sie sind jedoch darauf zurückzuführen, wie das Kind die Welt erlebt.

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

ADHS ist eine Verhaltens- und Lernstörung, bei der es dem betroffenen Kind schwer fällt, seine Aufmerksamkeit zu fokussieren. Sie kann auch von Hyperaktivität und Impulsivität begleitet werden.

ADHS wird in drei Subtypen unterteilt:

  • unaufmerksamer Typ
  • hyperaktiv-impulsiver Typ
  • kombinierter Typ

Dabei hängt die Diagnose davon ab, welche Symptome das Kind am häufigsten zeigt.

Symptome eines Kindes mit ADHS vom unaufmerksamen Typ:

  • Schwierigkeiten, aufmerksam zu sein
  • leicht ablenkbar
  • Schwierigkeiten, sich auf Aufgaben zu konzentrieren, vor allem auf lange Aufgaben wie das Lesen
  • Aufgaben beginnen, aber vergessen, sie zu beenden
  • Anweisungen nicht befolgen oder vergessen

Symptome eines Kindes mit hyperaktiv-impulsivem ADHS:

  • Schwierigkeiten, still zu halten oder sitzen zu bleiben
  • Kind zappelt viel, indem es mit den Händen oder Füssen klopft oder sich in seinem Sitz bewegt
  • herumlaufen oder auf Dinge klettern, wenn es nicht angebracht ist
  • häufig Gespräche oder Spiele unterbrechen
  • Schwierigkeiten haben zu warten, bis es an der Reihe ist
  • Schwierigkeiten, leise zu sprechen oder zu spielen

Ein Kind mit kombinierter ADHS zeigt eine Mischung aus beiden oben genannten Verhaltensweisen.

Die Diagnose ADHS wird oft erst nach dem 6. Lebensjahr gestellt. Bei der Einschulung können die Symptome deutlicher hervortreten, wenn das Kind Schwierigkeiten hat, sich an ruhigere, sitzende Tätigkeiten zu gewöhnen.

Oppositionelle Verhaltensstörung (ODD)

Kinder und Jugendliche mit ODD zeigen ein andauerndes Muster von feindseligem, negativem Verhalten gegenüber Autoritätspersonen wie Eltern, Betreuern oder Lehrern.

Mögliche Anzeigen von oppositioneller Verhaltensstörung sind:

  • streitlustiges Verhalten, z.B. ständiges Infragestellen von Regeln
  • Hartnäckige Sturheit, die sich in der Weigerung äussern kann, Anweisungen zu befolgen oder sich für ein Verhalten zu entschuldigen
  • Gehässiges oder rachsüchtiges Verhalten
  • provozierendes Verhalten, z.B. absichtliches Verärgern anderer
  • Wutausbrüche und Reizbarkeit

Einige Kliniker haben das Konzept von ODD kritisiert, da es normales kindliches Verhalten medizinisch erklärt. Es ist normal, dass sich Kinder hin und wieder wütend oder trotzig verhalten. So kann es schwierig sein, zwischen ODD und stressbedingtem Verhalten zu unterscheiden.

ODD wird dann diagnostiziert, wenn das Verhalten über 6 Monate anhält, zu Hause oder in der Schule zu ständigen Störungen führt und keine andere psychische Erkrankung zugrunde liegt.

Verhaltensstörung

Im Gegensatz zur oppositionellen Verhaltensstörung (ODD) verletzen Kinder mit Verhaltensstörung grössere Regeln und soziale Normen. Dies kann erhebliche Auswirkungen auf ihr schulisches, soziales und häusliches Leben haben. Die Verhaltensstörung kann sich sowohl in der Kindheit als auch in der Pubertät entwickeln.

Zu den Symptomen der Verhaltensstörung gehören:

  • erhebliche Regelverstösse, wie z.B. nicht zur Schule gehen, weglaufen oder stehlen
  • Aggression, die sich in körperlichen Auseinandersetzungen, Mobbing, Zwang zu sexuellen Handlungen oder Tierquälerei äussern kann
  • Arglist, z.B. Lügen oder Betrügen
  • Zerstörung von Eigentum, z.B. durch Anzünden oder Beschädigen von Besitztümern

Viele junge Menschen mit einer Verhaltensstörung haben Schwierigkeiten, das Verhalten anderer zu deuten. Beispielsweise können sie glauben, dass sich eine Person ihnen gegenüber feindselig verhält, obwohl dies nicht der Fall ist. In der Folge können sie zu aggressivem oder gewalttätigem Verhalten übergehen.

Kinder mit einer Verhaltensstörung können Schwierigkeiten haben, Empathie zu empfinden. Sie können auch an einer anderen Erkrankung leiden wie z.B. an Angstzuständen oder posttraumatischen Belastungsstörungen, die ihre Gedanken und ihr Verhalten beeinflussen.

Von einer Verhaltensstörung können 6-16% der Jungen und 2-9% der Mädchen betroffen sein. Wenn sich die Verhaltensstörung erstmals vor dem Alter von 11 Jahren manifestiert, ist es wahrscheinlicher, dass sie bis ins frühe Erwachsenenalter bestehen bleibt.

Risikofaktoren für die häufigsten Verhaltensstörungen bei Kindern

Es ist wahrscheinlich, dass eine Mischung aus physiologischen und umweltbedingten Faktoren bei Verhaltensstörungen eine Rolle spielen und nicht bloss eine einzelne Ursache.

Ein Kind kann unabhängig von seiner Herkunft, seinem Geschlecht oder seiner sexuellen Orientierung eine Verhaltensstörung haben.

Die folgenden Faktoren können die Entwicklung einer Verhaltensstörung beeinflussen:

Gehirnstruktur und -chemie

Veränderungen der Gehirnstruktur, der Entwicklung und der Neurotransmitterwerte sollen Verhaltensstörungen beeinflussen können. Beispielsweise sind die Bereiche des Gehirns, welche die Aufmerksamkeit steuern, bei Kindern mit ADHS weniger aktiv.

Bei aggressivem Verhalten können ein niedriger Serotoninspiegel (Glückshormon) und eine hohe Empfindlichkeit gegenüber dem Stresshormon Cortisol eine Rolle spielen.

Komplikationen während der Schwangerschaft

Bei Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht oder bei Frühgeburten scheinen Verhaltensstörungen häufiger aufzutreten.

Und bei Kindern, die im Mutterleib Giftstoffen wie Tabakrauch ausgesetzt waren, oder bei Kindern, deren Eltern oder Bezugspersonen unter Drogenmissbrauch leiden, kann oppositionelle Verhaltensstörung (ODD) häufiger vorkommen.

Geschlecht

Jungen sind häufiger von Verhaltensstörungen betroffen als Mädchen. Ob dies auf biologische Unterschiede zurückzuführen ist oder ob Unterschiede in den Geschlechternormen und -erwartungen das Verhalten oder die Entwicklung von Jungen beeinflussen, ist unklar.

Mädchen mit oppositioneller Verhaltensstörung drücken ihre Aggressionen möglicherweise eher durch Worte als durch Taten aus. Da dieses Verhalten weniger offensichtlich ist, wird möglicherweise seltener eine Diagnose gestellt.

Trauma

Ein Kind kann mit einem psychologischen Trauma als komplexe emotionale und körperliche Reaktion auf schweren oder chronischen Stress reagieren.

Die häufigsten traumatischen Erfahrungen, die Kinder beeinträchtigen können, sind

  • ein instabiles Familienleben
  • körperliche oder emotionale Misshandlung
  • schwierige Beziehungen zu Eltern oder Betreuungspersonen
  • uneinheitliche oder strenge Disziplin

Verhaltensstörungen treten häufiger in einkommensschwachen Familien auf, was ebenfalls auf ein erhöhtes Mass an Stress zurückzuführen sein kann.

Kindlicher traumatischer Stress kann leicht mit einer Verhaltensstörung verwechselt werden, da sich die Symptome überschneiden.

Vererbung

Verhaltensstörungen können in Familien gehäuft auftreten, was auf eine genetische Veranlagung für die Entwicklung dieser Störungen hinweisen könnte.

Diagnose von Verhaltensstörungen bei Kindern

Eine frühzeitige Diagnose von Verhaltensstörungen bei Kindern kann die Wirksamkeit von Behandlungen erheblich verbessern. Eltern oder Betreuungspersonen können Verhaltensstörungen nicht selbst diagnostizieren, weshalb Sie der Kinderarzt an einen Spezialisten weiter verweisen sollte. Dieser kann die Verhaltensstörungen anhand eines Beurteilungsverfahrens diagnostizieren, welche folgendes umfassen kann:

  • Beobachtung des Kindes
  • Gespräche mit Eltern, Betreuern oder Lehrern
  • Verhaltenschecklisten
  • standardisierte Fragebögen

Hilfe bei Verhaltensstörungen bei Kindern

Bei frühzeitiger Behandlung können die Familien lernen, mit dem Verhalten Ihres Kindes umzugehen. In vielen Fällen verbessert sich die Verhaltensstörung eines Kindes bei sorgfältiger Behandlung mit der Zeit.

Die Behandlung von Verhaltensstörungen kann je nach den Bedürfnissen des Kindes, der Familie sowie der Art und Schwere der Störung variieren. Zu den Ansätzen, die helfen können, gehören:

  • Elternmanagement-Training: Hilfe für Eltern und Betreuer, um mit dem Verhalten des Kindes umzugehen, wirksame Wege der Kommunikation mit dem Kind zu erlernen und Regeln und Grenzen wirksam zu setzen.
  • Einzeltherapie: Kinder und Jugendliche erlernen Techniken zur Bewältigung ihrer Emotionen und zur Reaktion auf Stresssituationen.
  • Familientherapie: Die Familienmitglieder lernen, miteinander über Gefühle und Probleme zu sprechen und Wege zur Lösung zu finden.
  • Soziale oder schulische Programme: Kinder und Jugendliche lernen, wie man auf gesunde Weise mit Gleichaltrigen umgeht.
  • Unterstützung bei Lernschwierigkeiten oder Behinderungen: Professionelle Unterstützung um das Wohlbefinden des Kindes zu verbessern und ihm zu helfen, in der Schule besser zurechtzukommen.
  • Medikamente: Medikamente können die Symptome lindern, wenn bei einem Kind gleichzeitig eine Störung wie ADHS oder eine psychische Erkrankung vorliegt, sie können Verhaltensstörungen jedoch nicht heilen.

Stärken Sie das Selbstwertgefühl Ihres Kindes mit Geduld, Einfühlungsvermögen und Ermutigung. Ein Erziehungsstil, bei welchem dem Kind zugehört und gleichzeitig vernünftige Regeln und Grenzen gesetzt wird, ist hilfreich.

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